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Sind vom Gericht dem Internet entnommene Tatsachen ohne weiteres als „offenkundig“ anzusehen?!

By 26. August 2022No Comments

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 27.01.2022 darauf erkannt, dass Grundlage von Urteilen nur die Ergebnisse der gerichtlichen Ermittlungen werden dürfen, welche zum einen den Parteien zugänglich gemacht worden sind und zum anderen mit entsprechendem Hinweis Gelegenheit zur Stellungnahme (rechtliches Gehör) eingeräumt haben. Damit soll gewährleistet werden, dass jedenfalls durch die „betroffene“ Partei ein etwaiger Gegenbeweis geführt werden kann.

Der § 291 der Zivilprozessordnung (offenkundige Tatsachen) sagt im Kern aus, dass Tatsachen, die bei dem Gericht offenkundig sind, keines Beweises bedürfen. Dies ist aber kein Freibrief für die Spruchkörper, aus Sicht des Gerichtes, insbesondere einer Internetrecherche entnommener entscheidungserheblicher Ergebnisse, ohne weiteres ihre Entscheidung zugrundezulegen.

Praxishinweis:

In den Zeiten des Internet sind online Recherchen zur täglichen Lebenswirklichkeit geworden. In prozessualer Hinsicht sind die Gerichte jedoch gehalten, insbesondere soweit von ihnen dem Internet entnommene Tatsachen ihren Entscheidungen zugrunde gelegt werden sollen, also diese Tatsachen verwerten werden sollen, den Parteien vorab entsprechend rechtliches Gehör zu gewähren.

Die höchstrichterliche Klarstellung ist sowohl erfreulich als auch geboten und wichtig. Denn die Einhaltung von rechtsstaatlichen Prinzipien sind auch im „Online-Zeitalter“ ein wichtiger Grundpfeiler eines fairen Verfahrens.

Für den Fall, dass Sie an einem gerichtlichen Verfahren beteiligt sind, sollten Sie im Verfahren selbst als auch nach Vorlage der Entscheidung überprüfen, ob Ihnen zu den entscheidungserheblichen Tatsachen vom Gericht rechtliches Gehör eingeräumt worden ist. Wenn nicht, ist gegebenenfalls die Verletzung rechtlichen Gehörs unter Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zu rügen.

Mirko Zebisch
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht