Bei einem schwerwiegenden Kalkulationsirrtum des Bieters ist es dem öffentlichen Auftraggeber untersagt, auf ein solches Angebot den Zuschlag zu erteilen. Konsequenterweise stehen dem öffentlichen Auftraggeber dann auch keine Schadenersatzansprüche gegen den Bieter zu.
Der Angebotspreis des Bieters war aufgrund des Kalkulationsirrtums um ca. ein Drittel günstiger als der Angebotspreis des nächstplatzierten Bieters. Der Bieter bemerkte seinen Irrtum und bat noch vor Zuschlagserteilung um den Ausschluss seines Angebots. Der öffentliche Auftraggeber erteilte gleichwohl den Zuschlag. Der Bieter weigerte sich daraufhin den Vertrag zu erfüllen. Der öffentliche Auftraggeber erklärte den Rücktritt vom Vertrag und beauftragte ein anderes Unternehmen. Die Mehrkosten machte der öffentliche Auftraggeber als Schadenersatz beim Bieter geltend.
Die Klage des öffentlichen Auftraggebers blieb in allen Instanzen erfolglos. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 11.11.2014, X ZR 32/14, entschieden, dass der öffentliche Auftraggeber gegen die in § 241 Abs. 2 BGB normierten Rücksichtnahmepflichten verstoße, wenn er den Bieter an der Ausführung des Auftrages zu einem Preis festhalten wolle, der auf einem erheblichen Kalkulationsirrtum beruhe. Der BGH machte deutlich, dass nicht jeder Kalkulationsirrtum zu einer solchen Rücksichtnahmepflicht führe, sondern eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschritten sein müsse. Dies sei dann der Fall, wenn vom Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaftlicher Betrachtung schlechterdings nicht mehr erwartet werden könne, sich mit dem irrig kalkulierten Preis als einer noch annähernd äquivalenten Gegenleistung für die zu erbringende Bau-, Liefer- oder Dienstleistung zu begnügen. Ein Indiz dafür kann ein besonders großer Abstand zum nächstplatzierten Angebot sein.
PRAXISHINWEIS:
Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofes darf nicht als Freibrief für eine Kalkulation ins Blaue hinein verstanden werden. Es handelt sich um eine Ausnahmeentscheidung. Grundsätzlich gilt nach wie vor, dass ein Kalkulationsirrtum ein unbeachtlicher Motivirrtum ist (so BGH, Urteil vom 07.07.1998 – X ZR 17/97).