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Gesellschaftsrecht & M&A

Geschäftsführerhaftung laut § 64 Abs. 1 GmbHG – Anforderungen an die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit

By 13. November 2019No Comments

Sofern der Geschäftsführer zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit als Voraussetzung für die Geschäftsführerhaftung gemäß § 64 S. 1 GmbHG zu seiner Rechtsverteidigung substantiiert vorträgt, dass jene gegen die Gesellschaft gerichteten Forderungen noch nicht fällig gewesen sind, ist das Gericht verpflichtet, diesem Verteidigungsvorbringen des Geschäftsführers im Zivilprozess nachzugehen.
 

Der klagende Insolvenzverwalter nahm die beklagten Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin (GmbH) auf Erstattung von nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit leisteten Zahlungen gemäß § 64 S. 1 GmbHG in Anspruch. Diese verteidigten sich im Kern damit, dass die betreffenden Forderungen einer konkreten Lieferantin, mit denen der Insolvenzverwalter die Zahlungsunfähigkeit im wesentlichen begründete, noch nicht fällig gewesen waren. Das Berufungsgericht hatte die Fälligkeit dieser Forderungen unterstellt und dementsprechend die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin und damit in der Folge die Geschäftsführerhaftung der Beklagten angenommen. Der BGH hat festgestellt, dass seitens des Berufungsgerichts dem mit wesentlichen Beweisangeboten versehenen Sachvortrag der Beklagten rechtsfehlerhaft nicht nachgegangen worden sei. Er kam so zu dem Schluss, dass das Berufungsgericht bei der Feststellung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör laut § 544 Abs. 7 ZPO verletzt habe.
 
Praxistipp:
 
In vielen Fällen erheben auf Erstattung von Zahlungen gemäß § 64 S. 1 GmbHG in Anspruch genommene Geschäftsführer im Gerichtsverfahren unsubstantiierte und mitunter sehr konstruiert wirkende Einwendungen. Dies verleitet die Gerichte erfahrungsgemäß oft dazu, sich mit den inhaltlichen Argumenten der Geschäftsführer inhaltlich nicht vertieft auseinanderzusetzen, entsprechenden Beweisangeboten der Geschäftsführer nicht nachzugehen, diese als rechtlich unbeachtlich lapidar abzutun. Dies eröffnet den Geschäftsführern die Möglichkeit, sich im Rahmen des Rechtsmittels auf den Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör erfolgreich zu berufen.
 
Allerdings hat der BGH in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hingewiesen, dass der Rückforderungsanspruch des Insolvenzverwalters gegen die Geschäftsführer für jene durch die Geschäftsführer veranlassten Zahlungen nicht daran scheitert, dass diese im Sinne von § 64 S. 2 GmbHG als privilegiert anzusehen sind. Der Normzweck verbietet nämlich dem Geschäftsführer, das Unternehmen auf Kosten und Gefahr der Gläubiger als Gesamtheit fortzuführen. Nur für den Ausnahmefall, dass eine konkrete Chance auf Sanierung und Fortführung im Insolvenzverfahren zunichte gemacht werden würde, könnten Zahlungen zur Vermeidung noch größerer Nachteile mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vom Standpunkt der Geschäftsführer vereinbar sein. Im Weiteren stellt der BGH klar, dass ein Geschäftsführer sein Amt tatsächlich niederlegen muss, wenn er sich haftungsbefreiend von der Gesellschaft trennen will. Eine lediglich „faktische“ tatsächlich nicht vollzogene Niederlegung seines Geschäftsführeramtes reicht dafür nicht aus.
 
Frank-Thoralf Hager
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
 
BGH, Urteil vom 21.05.2019 – II ZR 337/17