Allein die Weitergabe von Bedenken des Systemherstellers einzubauender Produkte unter Beifügung eines Nachtragsangebots durch den Auftragnehmer im Sinne von § 4 Abs. 3 VOB/B führt nicht zur Übernahme der Planungsverantwortung durch den Auftragnehmer. Dies erleichtert dem Auftraggeber nur die Prüfung und Entscheidung hinsichtlich der mit der Bedenkenanmeldung aufgeworfenen Fragestellung.
Ein Auftraggeber beauftragt ein Ingenieurbüro unter anderem mit der Planung einer Absorptionskältemaschine, welche von einem Auftragnehmer herzustellen ist. Der Hersteller der einzubauenden Anlage teilt dem Auftragnehmer mit, dass die Anlage anstelle mit Kupferrohren mit Rohren aus einer Eisenlegierung ausgestattet werden müsse. Die von dem Ingenieurbüro im Leistungsverzeichnis vorgesehenen Kupferrohre seien nämlich für den Betrieb der Anlage nicht geeignet. Der Auftragnehmer meldet unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Herstellers gegenüber dem Ingenieurbüro und dem Auftraggeber gegen die geplante Ausführung laut §4 Abs. 3 VOB/B Bedenken an und legt ein Nachtragsangebot über in die Anlage einzubauende Rohre mit einer Eisenlegierung vor. Das Ingenieurbüro nimmt die fachtechnische Prüfung vor und erteilt die Freigabe für diese Ausführung, welche der Auftraggeber auch beauftragt.
Im Rahmen des Betriebs der Anlage stellt sich der Werkstoffwechsel von Kupfer auf die Eisenlegierung als Fehlentscheidung heraus, da ein erheblicher Materialabtrag durch die Korrosion an den Rohren der Absorptionskältemaschine festgestellt wird. Das Ingenieurbüro wird daraufhin im Rahmen der Mängelhaftung zum Schadenersatz gegenüber dem Auftraggeber verurteilt. Im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs verlangt nun das Ingenieurbüro von dem Auftragnehmer die Erstattung des an den Auftraggeber gezahlten Betrages in Höhe von 50%. Das Ingenieurbüro vertritt die Ansicht, der Auftragnehmer hätte die Hinweise seines Herstellers nicht ungeprüft weiter geben dürfen, er habe untaugliches Material empfohlen und durch die Unterbreitung des Nachtragsangebots automatisch Planungsaufgaben des Ingenieurbüros übernommen.
Das mit der Entscheidung befasste OLG München teilt die Auffassung des Ingenieurbüros nicht und weist die Klage gegen den Auftragnehmer ab. Das Gericht gelangt zur der Feststellung, dass der Auftragnehmer durch Unterbreitung der Bedenkenanmeldung in Verbindung mit dem Nachtragsangebot seiner Prüfung – ohne Hinweispflicht im Sinne von §4 Abs. 3 VOB/B ausreichend nachgekommen sei, indem er unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Herstellers der Absorptionskältemaschine die Bedenken gegenüber dem Ingenieurbüro und dem Auftraggeber angemeldet habe. Das Gericht stützt sich dabei auch auf die den Parteien eines Werkvertrages durch den BGH auf gegebene Kooperationspflicht. Danach habe dem Auftragnehmer die Pflicht oblegen, die Bedenken des Herstellers der Anlage an das Ingenieurbüro und den Auftraggeber weiterzureichen damit dieser in Lage versetzt wird, die vom Hersteller der Anlage aufgeworfene Frage zu prüfen und planerisch zu entscheiden. Dabei sei unbeachtlich, dass die Bedenkenanmeldung sich später als inhaltlich falsch herausgestellt habe. Nach Auffassung des Gerichts ermögliche auch ein unzutreffender Hinweis eines Auftragnehmers eine ordnungsgemäße Prüfung der aufgeworfenen Fragestellung. Schließlich habe dem Auftraggeber immer noch die Möglichkeit zugestanden, im Ergebnis der fachlichen Überprüfung der Bedenkenanmeldung des Auftragnehmers die Ausführung der Anlage durch den Einbau von Kupferrohren anzuordnen. Keinesfalls habe jedoch der Auftragnehmer Planungsverantwortung durch Vorlage des Nachtragsangebots mit der Bedenkenanmeldung übernommen. Die Prüfung und Entscheidung über die Ausführung oblag weiterhin dem Auftraggeber und den Empfehlungen des Ingenieurbüros.
Praxishinweis:
Die Entscheidung stellt in erfreulicher Deutlichkeit klar, dass ein Auftraggeber eine Bedenkenanmeldung verbunden mit der Unterbreitung eines Nachtragsangebots nicht dahingehend verstehen kann, dass der Auftragnehmer damit Planungsverantwortung übernehmen will. Die Prüfungs- und Hinweispflicht eines Auftragnehmers im Sinne des §4 Abs. 3 VOG/B besteht nicht unbegrenzt. Entscheidend für die Grenzen ist die nach objektiven Gesichtspunkten im Einzelfall zu beurteilende Sachkenntnis des Auftragnehmers. Auch die besondere Fachkompetenz des Auftraggebers oder seiner Beauftragten (zum Beispiel Ingenieurbüros) führen zu weiteren Begrenzungen des Umfangs der Prüfungspflicht des Auftragnehmers.
Dem Auftragnehmer ist daher zu empfehlen, lieber im Zweifel einmal mehr Bedenken anzumelden, als einmal zu wenig. Die beim Auftraggeber im Zweifel für nutzlose Prüfungen der Bedenkenanmeldungen zusätzlich entstehenden Kosten werden von der Rechtsprechung in Kauf genommen. Keinesfalls ist es die rechtliche Aufgabe des Auftragnehmers die Fachkompetenz eines Fachingenieurs oder Fachgutachters zu haben. Insoweit sieht die Rechtsprechung zu Gunsten des Auftragnehmers eindeutige Grenzen. Im Einzelfall sollte daher der Auftragnehmer Bedenken anmelden und diese aus seiner Sicht für den Auftraggeber nachvollziehbar unter Beachtung seiner Fachkenntnisse begründen.
OLG München, Urteil vom 24.06.2014-9 U 4193/11
Rechtsanwalt Frank-Thoralf Hager
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht