Es stellt keinen Verstoß gegen das Kooperationsgebot oder Treu und Glauben dar, wenn der Auftragnehmer über § 16 Abs. 5 Nr. 4 VOB/B bei Zahlungsverzug des Auftraggebers mit einer fälligen Abschlagsrechnung seine Arbeiten bis zur Zahlung einstellt.
Es kommt im Rahmen eines laufenden Bauvorhabens immer wieder vor, dass der Auftraggeber Abschlagsrechnungen seines Auftragnehmers unbegründet kürzt, der Auftragnehmer – sofern er den Mut dazu besitzt – seine Arbeiten zeitweilig berechtigt einstellt und ihm dadurch infolge der Verlängerung der Bauzeit Mehrkosten entstehen. Im Rahmen der nachfolgenden Schlussrechnungsprüfung kürzt der Auftraggeber natürlich auch noch den geltend gemachten Mehrkostenanspruch des Auftragnehmers ohne Begründung auf EUR 0,00. Der Auftraggeber ist nicht bereit seinem Auftragnehmer die Mehrkosten zu erstatten, obwohl der Auftraggeber die Arbeitseinstellung seines Auftragnehmers zu vertreten hat.
Wichtig für den Auftragnehmer ist in einem solchen Fall, dass er seinen Auftraggeber rechtzeitig unter Fristsetzung auffordert, die Abschlagrechnung zu bezahlen, um seinen Auftraggeber mit Fristablauf in Verzug zu setzen. Erst nach Fristablauf ist der Auftragnehmer zur Arbeitseinstellung berechtigt und – was oft in der Praxis übersehen wird – gleichzeitig in der Ausführung seiner Leistungen im Sinne von § 6 Abs. 1 VOB/B behindert. In solchen Fällen ist der Auftraggeber verpflichtet, seinem Auftragnehmer die Mehrkosten zu erstatten, welche durch die Baueinstellung verursacht worden sind. Dazu zählen insbesondere Kosten für die Beräumung und erneute Wiedereinrichtung der Baustelle, zusätzliche Vorhaltekosten für die vor Ort vorgehaltenen Arbeitnehmer sowie die für die Baustelle kalkulierten allgemeinen Geschäftskosten (AGK) und Baustellengemeinkosten (BGK). Der Arbeitseinstellung des Auftragnehmers steht in einem solchen Fall auch nicht Treu und Glauben entgegen oder das für das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien vom BGH entwickelte Kooperationsgebot. Das Kooperationsgebot soll nämlich nicht dazu dienen, bestehende Rechte des Auftragnehmers oder Auftraggebers zu umgehen.
Das Kooperationsverhältnis dient vielmehr dazu, dass die Parteien sich gegenseitig informieren, an einer Lösung der Probleme konstruktiv mitwirken sowie entstandene Meinungsverschiedenheiten nach Möglichkeit einvernehmlich beizulegen.
Davon abzugrenzen ist ein Streit der Vertragsparteien, ob ein Nachtrag des Auftragnehmers vorliegt oder nicht. Dann kann das Recht des Auftragnehmers durchaus eingeschränkt sein. Auch steht der Arbeitseinstellung durch den Auftragnehmer nicht die Vorschrift § 18 Abs. 4 VOB/B entgegen. Der Verweis auf diese Regelung wird durch Auftraggeber in der Praxis gerne genutzt, um auf den Auftragnehmer Druck auszuüben und ihn so zu zwingen, die Arbeitseinstellung zu beenden. Diese Bestimmung hat bei Meinungsverschiedenheiten der Vertragsparteien über die Eigenschaft von Stoffen und Bauteilen, für die allgemein gültige Prüfungsverfahren bestehen, lediglich eine klarstellende Funktion. Die Regelung soll jedoch nicht gesetzliche oder vertragliche Rechte des Auftragnehmers beschneiden.
PRAXISHINWEIS
Es ist nicht zu verkennen, dass die Arbeitseinstellung für den Auftragnehmer ein sehr großes nicht unerhebliches Risiko darstellt. Sofern nämlich dem Auftragnehmer bei der Beurteilung zusätzlicher Forderungen für Leistungsänderungen und Nachträgen ein Rechtsirrtum unterläuft und seine darauf basierende Forderung unbegründet ist oder noch keine Fälligkeit eingetreten ist, so stellt die Arbeitseinstellung eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung des Auftragnehmers mit der Rechtsfolge dar, dass der Auftraggeber den Bauvertrag aus wichtigem Grund sofort kündigen und Schadenersatz statt Leistung verlangen kann. Der Auftragnehmer ist daher gut beraten, sehr sorgfältig ggf. unter Einschaltung seiner Rechtsberater im 1. Schritt zu prüfen, inwieweit die jeweilige Abschlagsrechnung tatsächlich fällig ist und ihr ein begründeter Anspruch zugrunde liegt. Dann bedarf es in jedem Fall im 2. Schritt noch einer schriftlichen Mahnung des Auftragnehmers mit der Ankündigung zur Leistungseinstellung gegenüber dem Auftraggeber. Der Auftragnehmer muss beachten, dass er den Zugang seiner Mahnung mit der Nachfristsetzung nach Eintritt der Fälligkeit beim Auftraggeber im Streitfall beweisen kann. Werden diese Vorgaben eingehalten, dann sollte der Auftragnehmer in der Regel mit seiner Arbeitseinstellung auf der sicheren Seite sein.
Die Arbeitseinstellung ist erfahrungsgemäß ein sehr wirksames Mittel, um den Auftraggeber anzuhalten, die fälligen Abschlagsrechnungen innerhalb vereinbarter Fristen zu prüfen und die Zahlungen ohne Abzüge an den Auftragnehmer innerhalb vereinbarter Fristen zu veranlassen.
Rechtsanwalt Frank-Thoralf Hager
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht